Eine halbe Million Pfund nahm der Darts-Weltmeister im Jahr 2019 mit nach Hause: das höchste Preisgeld, das in dieser Sportart je ausgezahlt wurde. Glücklicher Sieger war der Niederländer Michael van Gerwen, damals 29 Jahre alt und schon seit Jahren eine Koryphäe auf seinem Gebiet. „Mighty Mike“ zählte auch 2020 wieder ganz klar zu den Favoriten, sein markantes Antlitz gibt es mittlerweile schon als Plastikmaske zu kaufen. Wer selbst einmal optisch zum derzeit noch amtierenden Darts-Weltmeister mutieren möchte, der hat es also ziemlich leicht.
Darts: eine Sportart mit Show-Effekt
Darts ist nicht nur Sport, sondern auch Show. Jeder bekannte Spieler hat seinen Spitznamen und seine eigene Einlaufmusik, der Auftritt erfolgt mit viel Tamtam. Mighty Mike wählte sich für seinen großen Moment den Song „Seven Nation Army“ der Garage-Rockband White Stripes aus, frei nach dem Motto: „I’m gonna fight ‚em all“. Sein stärkster Konkurrent 2019 war der Schotte Michael Smith, der ihm bis ins Finale folgte. Doch Smith hatte im Face-to-Face-Duell kaum eine Chance, er unterlag deutlich 7:3. „Bully Boy“ nannte sich von da an der Vizeweltmeister, und so sieht er auch aus: massig, wie ein Fels, mit tätowierten Armen und einem beeindruckenden Bart. Doch das konnte den langjährigen Weltranglistenersten nicht einschüchtern, van Gerwen nahm schließlich zum dritten Mal den schweren Goldpokal entgegen.
Blühender Aberglaube bei den Profis
Eine Sportart, die sich um harten Wettbewerb und handfeste Zahlen dreht, lädt geradezu zum Aberglauben ein. Dart-Profi Denis Ovens, seinem Nachnamen entsprechend auch „The Heat“ genannt, glaubt beispielsweise fest daran, dass er immer dann verliert, wenn er sich vor einem Spiel rasiert. Während eines Turniers bleiben also sämtliche Rasierutensilien fest verschlossen im Schrank, und die Gesichtshaare gedeihen. Seine Mitstreiter verliehen Ovens bereits den wenig schmeichelhaften Nicknamen „Captain Hobo“ (Landstreicher-Kapitän), doch das ficht den Mann nicht an. Er bleibt bei seiner Entscheidung. Echter Aberglaube hat also nicht nur etwas mit schwarzen Katzen und Kleeblättern zu tun, was auch an dem folgenden kleinen Beispiel gut erkennbar wird: Eine Frau ließ einmal ihre 5-Franc-Münze bei einer Zeremonie mit dem Papst segnen und gewann mit dieser im Roulette. Somit steht weder Denis Ovens noch der Dart-Profi Peter Wright allein auf weiter Flur. Wright frühstückt vor jedem UK Open Turnier Bohnen auf Toast, weil er meint, nur so zur Höchstform auflaufen zu können. Mit zwei Final-Teilnahmen 2015 und 2016 hat sich diese kleine Macke jedenfalls schon bezahlt gemacht.
Schrill, schriller, Schlangenbiss …
Wright ist auch ohne seinen Bohnen-Spleen ein wahrer Paradiesvogel auf dem Darts-Parkett. Seine schrillen Outfits sind längst legendär, mit braver Föhnfrisur sah man ihn nie. „Snakebite“ nennt sich der ausgeflippte Sportler und blendet die Augen seiner Zuschauer nicht nur mit kunterbunten Punkfrisuren, sondern auch mit seinem auffälligen Kopf-Tattoo. Zu sehen ist eine quietschgrüne Schlange, die ihre Zähne fletscht und böse züngelt. Daher stammt auch Wrights Spitzname, der ins Deutsche übersetzt „Schlangenbiss“ lautet. Snakebite gehört zu den älteren Semestern an der Dart-Scheibe, er kam im März 1970 in Schottland auf die Welt. Noch immer gilt er als enorm treffsicher und konnte gerade als ältester Spieler überhaupt die PDC-WM 2020 für sich entscheiden. Ihm unterlag ausgerechnet Michael von Gerwen.
Die WM 2020: ein Spektakel für Nervenstarke
Ja, die WM 2020 ist bereits gelaufen. Sie versüßt den Fans jedes Jahr das Weihnachtsfest und endet pünktlich am 1. Januar. Mitte Dezember fiel der Startschuss zu dem gerade vergangenen Event, das Mighty Mike doch wieder die Krone kostete. 96 Spieler sind zu dem großen Spektakel nach London angereist, um sich im Alexandra Palace zu sammeln und dort ihre Kräfte zu messen. Jedes Mal baut sich zu diesem Anlass ein prickelnder Nervenkitzel auf, denn niemand kann auch nur erahnen, wie das Turnier endet. 2018 trat beispielsweise ein ganz neuer Sportler ins Rampenlicht, der noch nie an einer PDC-Tour teilgenommen hatte: Robin Cross. Ausgerechnet er holte sich zum Schluss den Weltmeistertitel, alle alten Hasen gingen leer aus. Kirk Shephard kämpfte sich 2008 als absoluter Außenseiter bis ins Finale und gewann das Endspiel für sich – danach hörte die Fangemeinde nie wieder etwas von ihm. Und dann gibt es doch immer wieder die bekannten Köpfe, die regelmäßig auftauchen, um in ihrem Sinne das Ruder herumzureißen, wie van Gerwen und Wright. Darts, das ist Überraschung pur, kein starres Muster, sondern jedes Mal wieder ein neues Erlebnis mit offenem Ende.
Darts ist, wo die Fans stets auf 180 sind
Die ungemeine starke Fanbeteiligung gehört ebenfalls zu den Charakteristiken des Dart-Sports. Für die Fans stellt jedes Event eine große Party mit heiß umjubelten Star-Auftritten dar. Bei der letzten WM wurden im Publikum ganze 80.000 Pappschilder mit der Zahl 180 verteilt, die jedes Mal pünktlich in die Höhe schnellten, wenn es einem Spieler gelang, alle drei Pfeile in die Triple-20 zu werfen. Damit ist die Schilderzahl explosionsartig gewachsen, entsprechend großartige Bilder ergaben sich bei den obligatorischen Kameraschwenks über die Zuschauer. Als weiteres Accessoire schwenkt das Publikum Zehntausende fingerzeigende Schaumstoffhände – und das mit ungeheurem Elan.
Die WM 2019 hatte übrigens auch ihre Leichen: 100 Darts-Scheiben mussten während dieses Turniers „dran glauben“. Sie bestehen aus robusten Sisalfasern, die regelmäßig völlig durchlöchert werden. Darts ist nun einmal kein Zuckerschlecken.